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Wie vermeiden Unternehmen Vendor Lock-in bei ERP-Projekten?

Dr. Harald Dreher By: Mär 25, 2025

Was bedeutet Vendor Lock-In?

Bei der Auswahl und Einführung eines neuen ERP-Systems lauern für mittelständische Unternehmen – insbesondere in Fertigungsindustrie und Großhandel – diverse Risiken. Eines der größten ERP-Risiken im Mittelstand ist das sogenannte Vendor Lock-in. Unter Vendor Lock-in versteht man eine Situation, in der ein Unternehmen in eine starke Abhängigkeit von einem bestimmten Softwareanbieter gerät und ein Wechsel auf ein anderes System nur schwer, teuer oder gar nicht möglich ist​.

 

Im ERP-Kontext bedeutet das: Hat sich ein Betrieb einmal für einen ERP-Anbieter entschieden, kann er später nur mit erheblichem Aufwand zu einer Alternative wechseln.

Dieses Thema ist bei ERP-Projekten besonders relevant, weil ERP-Systeme geschäftskritisch und langfristig im Einsatz sind. Historisch liegt die Nutzungsdauer eines ERP-Systems oft bei 10 bis 15 Jahren​ – Entscheidungen wirken also über ein Jahrzehnt nach. In dieser Zeit durchläuft das Unternehmen Veränderungen (Wachstum, neue Prozesse, Digitalisierung), denen das ERP-System gewachsen sein muss. Ein festgefahrenes System kann die Flexibilität und Innovationsfähigkeit erheblich einschränken. Studien zeigen entsprechend, dass rund zwei Drittel der IT-Verantwortlichen versuchen, Abhängigkeiten durch eine Multi-Anbieter-Strategie zu vermeiden​. 

 

Im Rahmen unserer Projekterfahrung bei Dreher Consulting landen dennoch viele Firmen faktisch in der Einbahnstraße eines einzigen ERP-Anbieters. Wir stellen dies vor allem fest, wenn Unternehmen schon weit fortgeschritten sind in Ihrer Auswahl und uns in einer finalen Phase um Unterstützung und unabhängige ERP Beratung bitten. Insbesondere mittelständische Unternehmen mit begrenzten IT-Ressourcen unterschätzen oft die Gefahr, in der täglichen Praxis von einem ERP-Anbieter oder -Dienstleister abhängig zu werden.

Dieser Artikel soll Entscheidern dabei helfen, Vendor Lock-in als strategisches Risiko zu verstehen, frühzeitig zu erkennen und aktiv zu vermeiden (z.B. durch unabhängige ERP-Beratung und bewusste Architekturentscheidungen).

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Warum entsteht Vendor Lock-in in ERP-Projekten?
  2. Wie äußert sich Vendor Lock-in in der Praxis? Einige anonymisierte Beispiele aus unserer Beratungserfahrung
  3. Was bedeutet der Vendor Lock-in entlang des ERP-Lebenszyklus?
    1. In der Auswahlphase
    2. In der Einführungsphase
    3. Im laufenden Betrieb und bei der Weiterentwicklung
  4. Strategien zur Vermeidung von Vendor Lock-in
    1. Technische Maßnahmen
    2. Organisatorische Maßnahmen
    3. Rolle unabhängiger ERP-Beratung
  5. Kriterienkatalog zur Bewertung des Vendor Lock-in-Risikos
  6. Empfehlungen aus der Praxis für mittelständische Entscheider
    1. Bei der ERP-Systemauswahl
    2. Bei der Wahl des Beratungspartners
  7. Fazit: Unabhängigkeit als strategischer Erfolgsfaktor

 

Warum entsteht Vendor Lock-in in ERP-Projekten?

Die Ursachen für einen Vendor Lock-in in ERP-Projekten sind vielfältig, aber meist auf einige typische Konstellationen zurückzuführen. Exemplarisch sollen die nachfolgenden Punkte aus unserer Beratung dargestellt werden und Ihnen eine Hilfestellung bieten, Risiken zu vermeiden:

  • Proprietäre Datenstrukturen: Viele ERP-Systeme speichern Daten in proprietären Formaten oder komplexen Datenbankschemata, die einen Wechsel erschweren. Die Datenmodelle sind so beschaffen, dass ein Export oder die Migration zu einem anderen System nur mit hohem Aufwand oder Datenverlust möglich ist. In extremen Fällen verlangen Anbieter sogar zusätzliche Gebühren, um Kunden beim Export ihrer eigenen Daten zu unterstützen​ – ein deutliches Zeichen für potenzielles Lock-in.

  • Fehlende Schnittstellenstandards: Wenn ein ERP keine offenen Schnittstellen (APIs) oder Standardformate für den Datenaustausch bietet, wird die Integration externer Anwendungen schwierig. Das Unternehmen ist gezwungen, für benötigte Erweiterungen auf Module des ERP-Herstellers zurückzugreifen oder teure Individual­schnittstellen entwickeln zu lassen. Proprietäre oder fehlende Schnittstellen binden somit funktional an den Anbieter und erschweren es, Teile der Systemlandschaft durch andere Lösungen zu ersetzen.

  • Starke Abhängigkeit vom Anbieter/Dienstleister: Vendor Lock-in entsteht oft durch Know-how-Monopole. Wenn nur der ERP-Hersteller oder ein einzelner Dienstleistungspartner die notwendigen Kenntnisse hat, um das System zu betreuen, entsteht ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis. Ursachen können mangelnde Dokumentation, unzureichende Schulung interner Mitarbeiter oder proprietäre Entwicklungswerkzeuge sein. Auch spezialisierte Module, die nur vom jeweiligen Anbieter betreut werden können, führen dazu, dass das Unternehmen bei Erweiterungen oder Problemen stets auf denselben Partner angewiesen ist.

  • Restriktive Vertragskonditionen: Die Vertragsgestaltung kann Vendor Lock-in begünstigen. Lange Vertragslaufzeiten ohne flexible Ausstiegsklauseln, automatische Verlängerungen oder hohe Strafzahlungen bei vorzeitiger Kündigung binden Kunden an den Anbieter. Viele ERP-Anbieter setzen Vertragsklauseln durch, die einen Wechsel wirtschaftlich unattraktiv machen – etwa indem beim Lizenzmodell kaum Kosten nachlassen, selbst wenn Module oder Nutzerzahlen reduziert werden. Auch Gebühren für die Herausgabe von Daten oder Unterstützung bei einer Migration sind mögliche Hürden. Solche vertraglichen Stolpersteine können aus unserer Erfahrung dazu führen, dass ein Unternehmen trotz Unzufriedenheit faktisch beim Anbieter bleiben muss​.

Diese Ursachen treten häufig kombiniert auf. Beispielsweise geht eine proprietäre Datenstruktur oft mit begrenzten Schnittstellen einher, oder ein Systemhaus nutzt sowohl technische Barrieren als auch Vertragsbindung, um Kunden zu halten. Für Entscheider ist es wichtig, diese Mechanismen zu kennen, um bereits in der Auswahl- und Vertragsphase gegensteuern zu können.

Wie äußert sich Vendor Lock-in in der Praxis?

 

Wie äußert sich Vendor Lock-in in der Praxis? Einige anonymisierte Beispiele aus unserer Beratungserfahrung

Was sind nun die konkreten Auswirkungen von Vendor Lock-In im ERP-Kontext? Im Folgenden finden Sie einige anonymisierte Beispiele aus mittelständischen Unternehmen der Fertigungsbranche und des Großhandels:

  • Zwang zu kostenintensiven Upgrades: Ein Fertigungsunternehmen nutzte über Jahre ein bewährtes ERP-System. Als der Hersteller ankündigte, die alte Version in absehbarer Zeit nicht mehr zu unterstützen, stand das Unternehmen vor einer schwierigen Wahl: Entweder ein teures Upgrade auf die neue Generation des ERP (inklusive neuer Lizenzkosten und Projektaufwand) – oder Weiterbetrieb ohne Support und Sicherheitsupdates​. Faktisch blieb keine Wahl: Um die Produktionsfähigkeit nicht zu gefährden, musste das Unternehmen dem vorgegebenen Upgrade-Pfad des Herstellers folgen. Einen eigenen strategischen Fahrplan konnte man kaum umsetzen, da man an die Roadmap des ERP-Anbieters gebunden war​. Dieses Beispiel zeigt, wie ein Hersteller durch Produktpolitik Kunden praktisch festnageln kann.

  • Eingeschränkte Integrationsfähigkeit: Ein Großhandelsunternehmen wollte seine E-Commerce-Plattform und ein neues CRM-System anbinden, um Omni-Channel-Vertrieb zu ermöglichen. Doch das bestehende ERP bot keine modernen API-Schnittstellen. Wichtige Stammdaten und Auftragsinformationen ließen sich nur über umständliche CSV-Exporte oder teure proprietäre Middleware austauschen. Die Folge: Das Unternehmen war gezwungen, entweder zusätzliche Module desselben ERP-Anbieters zu kaufen (die die Integration intern abdeckten) oder in kostspielige Individualentwicklungen zu investieren. Beide Optionen waren suboptimal – Innovation wurde verzögert und die IT-Kosten stiegen. Dieser Vendor Lock-in durch fehlende Offenheit bremste das Unternehmen in einer für den Wettbewerb wichtigen Phase der Digitalisierung aus.

  • Know-how-Verlust und Abhängigkeit vom Dienstleister: Ein mittelständischer Maschinenbauer hatte die ERP-Einführung vollständig an einen externen Dienstleistungspartner ausgelagert. Dieser passte die Software stark an die spezifischen Prozesse an, dokumentierte jedoch wenig. Nach einigen Jahren wechselten die meisten der betreuenden Berater die Firma. Der Maschinenbauer stand vor dem Problem, dass kaum jemand intern das System wirklich durchdrang. Als der Supportvertrag neu verhandelt werden sollte, hatte das Unternehmen keine Alternative zum bisherigen Partner – kein anderer Dienstleister konnte ohne erhebliche Einarbeitung das hochgradig individualisierte System übernehmen. Das Unternehmen war also in hohem Maße vom ursprünglichen Implementierungspartner abhängig geworden. Neue Anforderungen konnten nur mit dessen Hilfe umgesetzt werden, meist zu dessen Konditionen. Hier zeigt sich, wie fehlende Know-how-Sicherung und übermäßige Individualisierung in der Einführungsphase später zu einer faktischen Monopolstellung des Dienstleisters führen.

Diese Beispiele aus unserem Projektalltag machen deutlich: Vendor Lock-in ist kein abstraktes Konzept, sondern hat greifbare betriebswirtschaftliche Auswirkungen. Es kann zu ungeplanten Kostenexplosionen, Verzögerungen bei wichtigen Vorhaben oder strategischen Handlungsunfähigkeiten führen. Im Mittelstand, wo Budgets begrenzt sind und Ausfallzeiten kritisch, kann eine solche erzwungene Abhängigkeit die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigen.

 

Was bedeutet der Vendor Lock-in entlang des ERP-Lebenszyklus?

Vendor Lock-in entsteht nicht erst am Ende der Nutzungsdauer eines Systems – die Weichen dafür werden entlang des gesamten ERP-Lebenszyklus gestellt: von der Auswahl über die Einführung bis hin zum laufenden Betrieb und zur Weiterentwicklung. Zahlreiche unserer Kundenprojekte haben gezeigt: Entscheider sollten in jeder Phase auf mögliche Lock-in-Effekte achten.

 

In der Auswahlphase

Bereits bei der ERP-Auswahl werden grundlegende Entscheidungen getroffen, die spätere Abhängigkeiten beeinflussen. Hier gilt der Grundsatz: Vorbeugen ist besser als heilen. Ein häufiger Fehler ist, dass mittelständische Unternehmen sich von kurzfristigen Anforderungen oder aggressivem Marketing leiten lassen, ohne das langfristige Strategiethema Vendor Lock-in zu berücksichtigen. Wir empfehlen daher, den Auswahlprozess sorgfältig zu strukturieren und von Anfang an die richtigen Fragen zu stellen​.

Dazu gehört: Kriterien wie Offenheit, Standardkonformität und Exit-Strategie in den Anforderungskatalog aufzunehmen. Wenn beispielsweise nur ein einziger ERP-Anbieter in Betracht gezogen wird oder man sich voreilig für eine vermeintlich vertraute Lösung entscheidet, steigt das Risiko, wichtige Alternativen zu übersehen. Idealerweise führt man eine unabhängige ERP-Auswahl durch, in der mehrere Systeme verschiedener Hersteller neutral geprüft werden – inklusive der Frage, wie leicht oder schwer man das System später wieder verlassen oder erweitern kann.

Auch die Vertragsverhandlung fällt in diese Phase. Hier sollte unbedingt auf Flexibilität geachtet werden: Welche Mindestlaufzeiten werden vereinbart? Sind Kündigungsfristen angemessen? Werden Unterstützungsleistungen bei einer Vertragsbeendigung zugesichert? Werden Preissteigerungen gedeckelt? Jede unklare oder einseitige Klausel kann sich Jahre später rächen. Wie weiter unten im Strategieteil beschrieben, ist es ratsam, schon vor Vertragsabschluss mögliche Exit-Szenarien durchzuspielen – so paradox es klingt. Wer früh die Weichen richtig stellt, dem stehen später mehr Handlungsoptionen offen.

 

In der Einführungsphase

Während der ERP-Einführung entscheidet sich, wie sehr man sich technisch und organisatorisch an einen Anbieter bindet. In dieser Phase werden Systeme konfiguriert, Schnittstellen implementiert und Prozesse abgebildet. Einige Stellhebel zur Vermeidung von Lock-in liegen hier direkt in der Hand des Projekts:

  • Anpassungstiefe: Jedes ERP muss an die Bedürfnisse des Unternehmens angepasst werden. Die Frage ist, wie. Werden umfangreiche Modifikationen am Standard vorgenommen oder versucht man, möglichst im Standard zu bleiben und Geschäftsprozesse anzupassen? Grundsätzlich gilt: Je tiefer und spezifischer die Eingriffe (z.B. eigenentwickelte Erweiterungen im Quellcode des ERP), desto stärker die Bindung an genau dieses System. Ein gewisses Maß an Customizing ist oft nötig, doch es sollte bewusst gesteuert werden. Wir raten dazu, Customizing auf die wirklich geschäftskritischen Differenzierungsmerkmale zu beschränken und Standardfunktionen zu nutzen, wo immer möglich – so bleibt das System upgradefähig und theoretisch austauschbar.

  • Schnittstellen und Add-ons: In der Implementierungsphase entscheidet sich, ob das ERP in einer offenen Systemlandschaft betrieben wird. Setzt man auf standardisierte Schnittstellen (z.B. REST-APIs, EDI) und modulare Add-ons, kann man später leichter Komponenten austauschen. Wird hingegen eine proprietäre Integrationslösung des ERP-Anbieters implementiert (oder schlimmer: auf notwendige Integrationen verzichtet), begibt man sich in Abhängigkeit. Jedes Modul, das isoliert nur mit dem ERP funktioniert, erhöht die Lock-in-Wirkung.

  • Know-how-Transfer: Die Einführung ist auch die Zeit, in der Wissen aufgebaut werden muss. Das Projektteam sollte darauf achten, dass genügend Mitarbeiter des Unternehmens tief in das System eintauchen und Wissen vom Implementierungspartner übernommen wird. Andernfalls entsteht von Tag 1 an eine Dauerabhängigkeit vom externen Dienstleister. Maßnahmen wie Schulungen, pair programming mit Consultants, detaillierte Dokumentation und aktive Einbindung der Key User in Entscheidungsprozesse zahlen sich hier aus. Das Ziel: Nach dem Go-Live soll das Unternehmen sein ERP im Alltag möglichst autonom betreiben können, zumindest in weiten Teilen.

Kurzum: Die Einführungsphase bietet die Chance, durch kluge Projektentscheidungen die Basis für ein offenes, flexibles System zu legen – oder eben durch falsche Weichenstellungen den Lock-in zu zementieren.

 

Im laufenden Betrieb und bei der Weiterentwicklung

Nach dem Go-Live beginnt der längste Abschnitt des ERP-Lebenszyklus: der Produktivbetrieb mit laufender Weiterentwicklung. Auch hier begleitet einen das Thema Vendor Lock-in ständig und erfordert aktives Management:

  • Release- und Update-Politik: ERP-Hersteller entwickeln ihre Produkte weiter, bringen Updates oder neue Versionen heraus. Unternehmen stehen regelmäßig vor der Frage, ob und wann sie diese Updates mitmachen. Ist man stark an den Hersteller gebunden, wird man oft gezwungen mitzuziehen, um im Support zu bleiben – selbst wenn der geschäftliche Mehrwert einzelner Updates fraglich ist. Bleibt man hingegen auf einer älteren Version, läuft man Gefahr, dass der Support endet (wie im obigen Beispiel), was ein erhebliches Risiko darstellt. Ein unabhängigeres Unternehmen könnte hier überlegen, auch mal einen Versionssprung auszusetzen oder auf Drittwartung zu setzen. Wer jedoch vollständig am Tropf des Herstellers hängt, hat diese Freiheit kaum.

  • Funktionale Erweiterungen: Im Laufe der Jahre kommen neue Anforderungen – sei es durch Wachstum, neue Geschäftsmodelle oder gesetzliche Änderungen. Hier zeigt sich, ob man modular agieren kann. Ein nicht-lock-in-geprägtes Unternehmen könnte z.B. ein neues CRM oder eine spezielle MES-Lösung anbinden, wenn das ERP die Anforderungen nicht abdeckt. Ein vom ERP-Anbieter abhängiges Unternehmen dagegen neigt dazu, nur die vom Anbieter angebotenen Module einzusetzen, selbst wenn Marktangebote vielleicht besser passen würden. Lock-in bedeutet oft, dem eigenen ERP alles anvertrauen zu müssen, auch wenn externe Systeme in Teilbereichen überlegen wären.

  • Wechsel des Dienstleisters: Im Betrieb kann es vorkommen, dass man den betreuenden ERP-Dienstleister wechseln möchte (etwa aus Kostengründen oder weil man unzufrieden ist). Hat man in der Einführungsphase Know-how intern aufgebaut und Standards eingehalten, ist ein Dienstleisterwechsel relativ machbar. Ist man jedoch komplett auf einen Partner eingeschossen, wird ein Wechsel nahezu unmöglich, ohne den laufenden Betrieb zu gefährden. Dies schränkt die Verhandlungsposition bei Preis- und Leistungsgesprächen erheblich ein.

  • Strategische Flexibilität: Vielleicht ergibt sich strategisch die Notwendigkeit, auf ein anderes ERP-System zu migrieren – z.B. bei Übernahmen, Fusionen oder weil das aktuelle System technologisch nicht mehr mitkommt. Ein Unternehmen, das einen Lock-in erfolgreich minimiert hat, kann eine solche Transition zumindest planen und durchführen (auch wenn es immer aufwändig ist). Ein durch Vendor Lock-in gefangenes Unternehmen hingegen wird eine ERP-Ablösung als nahezu undenkbar betrachten. Die Konsequenz ist oft, dass man an suboptimalen Lösungen festhält und notwendige Veränderungen scheut – was langfristig Wettbewerbsnachteile bringen kann.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Vendor Lock-in muss über den gesamten ERP-Lebenszyklus aktiv gemanagt werden. In jeder Phase – von Auswahl über Einführung bis Betrieb – sollten Entscheidungen im Lichte der Frage getroffen werden, wie sie die zukünftige Unabhängigkeit beeinflussen. Was wir in zahlreichen ERP-Projekten beobachten konnten, ist: Unternehmen, die diese Weitsicht haben, bewahren sich Optionen und vermeiden Sackgassen in ihrer IT-Landschaft.

 

Sie stehen vor einer ERP-Auswahl oder -Migration? Lassen Sie uns gemeinsam prüfen, wie Sie sich langfristige Unabhängigkeit sichern können.

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Strategien zur Vermeidung von Vendor Lock-in

Die gute Nachricht ist: Vendor Lock-in ist kein Schicksal, sondern durch bewusste Strategien weitgehend vermeidbar. Wir empfehlen einen Mix aus technischen und organisatorischen Maßnahmen, um die Abhängigkeitsrisiken zu minimieren. Im Folgenden finden Sie einige Strategien, um Vendor Lock-in zu vermeiden:

 

Technische Maßnahmen

Technologisch kann schon früh der Grundstein für Unabhängigkeit gelegt werden:

  • Offene Standards & Architektur: Setzen Sie auf ERP-Systeme, die offene Technologien verwenden. Schnittstellen nach gängigen Standards (REST-API, SOAP, ODBC, EDIFACT etc.) sowie Datenformate wie CSV, JSON oder XML sind grundlegend wichtig, um später Daten oder Funktionen mit anderen Systemen austauschen zu können. Eine modulare Architektur des ERP (z.B. service-orientiert oder mit losen Kopplungen) erleichtert es, einzelne Komponenten auszutauschen. Kurzum: Je offener das System, desto geringer die Abhängigkeit von proprietären Technologien. Offenheit und Standardkonformität reduzieren die Abhängigkeit von spezifischen Herstellern und geben dem Unternehmen die Hoheit über seine Daten und Prozesse zurück​. Wo möglich, kann auch der Einsatz von Open-Source-ERP in Erwägung gezogen werden – hier ist per Konzept sichergestellt, dass Code und Daten keinem Hersteller-“Lock“ unterliegen.

  • Datenportabilität sicherstellen: Technisch sollte von Anfang an bedacht werden, wie man im Notfall alle Daten aus dem System extrahieren würde. Regelmäßige Backups in auswertbaren Formaten, ein zentrales Data Warehouse oder zumindest Export-Skripte für alle wichtigen Datenobjekte sind sinnvoll. In Verhandlungen kann man darauf drängen, dass der Anbieter Tools oder Services bereitstellt, um Daten migrationsfähig zu machen. Das Ziel: Datenhoheit zu jeder Zeit. Vertrauenswürdige ERP-Anbieter unterstützen Kunden nach unserer Erfahrung heute aktiv bei der Sicherstellung von Datenportabilität, statt Hürden aufzubauen.

  • Begrenzung von Individualisierung und Spezialtechnologien: Technische Unabhängigkeit bedeutet auch, sich nicht zu sehr auf rare Skills oder einzigartige Tools zu verlassen. Wenn ein ERP z.B. eine eigene proprietäre Programmiersprache für Erweiterungen nutzt, könnte dies die Entwicklerauswahl einschränken. Besser ist, wenn Customizing in verbreiteten Sprachen (Java, C#, Python o.ä.) oder mit Universal-Tools erfolgt, sodass notfalls auch andere Dienstleister oder eigene Entwickler einsteigen können. Ebenso sollte man mit Augenmaß individualisieren: Jede Zeile kundenspezifischer Code kann bei Updates zum Problem werden. Eine pragmatische Lösung ist, wo machbar außen vor zu entwickeln – etwa spezielle Funktionen über eine externe Anwendung anzubinden, anstatt den ERP-Core zu verändern. So behält man mehr Flexibilität, diese externe Komponente irgendwann zu ersetzen oder zu migrieren, ohne den ERP-Kern anzutasten.

Organisatorische Maßnahmen

Neben der Technik spielen organisatorische Vorkehrungen eine große Rolle dabei, einen Vendor Lock-in zu verhindern:

  • Verträge clever gestalten: Eine saubere Vertragsgestaltung ist das A und O. Lassen Sie Vertragsentwürfe von fachkundiger Seite prüfen (rechtlich und technisch). Achten Sie auf Exit-Klauseln: Welche Möglichkeiten gibt es, vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen? Welche Fristen gelten? Was passiert mit Daten und Customizing bei Vertragsende? Idealerweise wird schriftlich festgehalten, dass der Anbieter bei einer Übergabe an einen neuen Dienstleister kooperiert. Verlangen Sie Transparenz bei Preismodellen (keine exorbitanten Steigerungen nach der Einführungsphase) und vermeiden Sie Knebelverträge über sehr lange Laufzeiten. Bestehen Unklarheiten, sollten diese explizit ausgeräumt werden – Verträge, die Lock-in begünstigen, operieren oft mit Mehrdeutigkeiten, die Kunden in der Falle halten​. Hier müssen IT und Einkauf gemeinsam an einem Strang ziehen. Ein guter Vertrag gibt Ihnen zumindest die Option, den Anbieter zu wechseln, ohne Ihr Unternehmen zu gefährden.

  • Know-how-Sicherung im eigenen Haus: Organisatorisch sollte früh festgelegt werden, wie Wissen und Kompetenzen aufgebaut und gehalten werden. Identifizieren Sie interne Schlüsselpersonen (Key User, Prozessverantwortliche) und bilden Sie diese intensiv aus. Das Unternehmen sollte die Fähigkeit besitzen, das ERP-System im Alltag weitgehend selbst zu administrieren und kleinere Anpassungen vorzunehmen. Dokumentation ist dabei von grundlegender Bedeutung: Alle Konfigurationen, Customizings und Schnittstellen sollten nachvollziehbar beschrieben sein. Vermeiden Sie es, dass kritisches Wissen nur in den Köpfen externer Berater steckt. Auch ein Wechsel des Personals intern ist zu berücksichtigen – sorgen Sie für Redundanz im Wissenstransfer (z.B. durch Pairing oder Rotation von Verantwortlichkeiten). Ein weiterer Aspekt ist die Systemhoheit: Manche Unternehmen lassen ihr ERP komplett extern hosten und managen (SaaS oder Managed Services). Hier sollte man zumindest administrativen Zugriff auf die eigenen Instanzen und Daten haben, um notfalls den Betreiber wechseln zu können.

  • Multi-Sourcing und Wettbewerb nutzen: Scheuen Sie sich nicht, mehrere Partner ins Boot zu holen. Beispielsweise kann man Software vom Hersteller beziehen, aber für Beratung und Support auch Drittanbieter evaluieren. Ein gesunder Wettbewerb von Dienstleistern kann Lock-in-Effekte vermindern, da keine „monopolartige“ Stellung entsteht. Manche mittelständische Firmen fahren gut mit einem Primärdienstleister plus einem sekundären Partner, der z.B. punktuell Projekte übernimmt oder Audits durchführt. So hat man im Bedarfsfall Alternativen parat. Ebenso kann es sinnvoll sein, nicht alle Module aus einer Hand zu beziehen, sondern eine Best-of-Breed-Strategie in Betracht zu ziehen (sofern die Integration beherrschbar ist). Das erhöht zwar anfänglich die Komplexität, bewahrt aber Unabhängigkeit, da man einzelne Komponenten austauschen kann, ohne gleich das ganze ERP wechseln zu müssen.

  • Regelmäßige Review-Prozesse: Etablieren Sie im Unternehmen einen Rhythmus, in dem die ERP-Landschaft strategisch bewertet wird – etwa jährliche oder zweijährliche Reviews. Fragen Sie sich: Entspricht der aktuelle Anbieter noch unseren Anforderungen? Gibt es neue Lösungen am Markt, die relevante Vorteile bieten? Wie entwickelt sich der Hersteller strategisch (Technologie, Preise)? Solche Reviews halten das Bewusstsein wach, dass prinzipiell Alternativen existieren. Wenn Missstände auftauchen (steigende Kosten, nachlassender Service, Produkt passt nicht mehr), sollte früh gegengesteuert werden – notfalls mit der Planung eines Wechsels, bevor man in eine Sackgasse gerät. Dieses Risiko-Management rund um das ERP gehört heute zum Pflichtprogramm der IT-Governance.

Rolle unabhängiger ERP-Beratung bei Vermeidung von Vendor Lock-in

Rolle unabhängiger ERP-Beratung

Eine entscheidende Unterstützung bei all den genannten Maßnahmen kann eine unabhängige ERP-Beratung bieten. Unabhängig heißt in diesem Kontext: Ein Beratungsunternehmen, das nicht als Vertriebskanal für einen bestimmten ERP-Hersteller agiert, sondern neutral im Kundeninteresse arbeitet. Die Rolle solcher Berater im Kampf gegen Vendor Lock-in ist nicht zu unterschätzen:

  • Objektive Auswahlbegleitung: Erfahrene ERP-Berater kennen den Markt und wissen, worauf zu achten ist. Sie helfen, schon in der Auswahlphase die richtigen Fragen zu stellen (z.B. nach Schnittstellen, Datenexport, Roadmap des Anbieters). Dabei bringen sie Best Practices ein, wie sie etwa auch von führenden Strategieberatungen empfohlen werden – zum Beispiel, dass man bereits vor Vertragsabschluss eine Exit-Strategie andenkt​. Eine unabhängige Beratung moderiert den Auswahlprozess ergebnisoffen und sorgt dafür, dass nicht vorschnell ein bestimmter Anbieter favorisiert wird, ohne die Lock-in-Risiken zu prüfen. Dies wird auch als unabhängige ERP-Auswahl bezeichnet und hat sich im Mittelstand bewährt, um teure Fehlentscheidungen zu vermeiden.

  • Architektur und Integrationsdesign: In der Einführungsphase achtet ein guter Beratungspartner darauf, dass die Systemarchitektur zukunftsfähig bleibt. Er wird z.B. empfehlen, auf modulare Konzepte zu setzen, Schnittstellen so zu bauen, dass später auch andere Systeme andocken könnten, und Customizing im maßvollen Rahmen zu halten. Ein unabhängiger Berater hat das Ziel, den Kunden flexibel und handlungsfähig zu halten – anders als ein an einen Hersteller gebundener Integrator, der tendenziell möglichst viele Herstellerprodukte unterbringen möchte. Somit wirkt die Beratung als neutraler Architekt, der die technischen Maßnahmen zur Lock-in-Vermeidung im Blick behält.

  • Vertrags- und Projektbegleitung: Beim Ausarbeiten von Verträgen kann eine erfahrene ERP-Beratung auf Fallstricke hinweisen und bei Verhandlungen unterstützen. Gerade mittelständischen Firmen fehlt hier oft die Erfahrung, welche Klauseln üblich und welche kritisch sind – der Berater bringt Vergleichswerte und Argumentationshilfen ein. Während des Projekts stellt die Beratung sicher, dass Wissenstransfer stattfindet und der Kunde nicht blind in die Abhängigkeit schlittert. Sie kann Schulungen konzipieren, auf ausreichende Dokumentation pochen und bei personellen Engpässen für Continuity sorgen (z.B. falls ein externer Entwickler ausfällt, hat die Beratungsfirma Ersatz parat, sodass nicht alles an einer Person hängt).

  • Langfristiger Partner auf Augenhöhe: Über den Go-Live hinaus kann ein unabhängiger ERP-Berater dem Unternehmen als Sparringspartner dienen. Sei es in den erwähnten regelmäßigen Reviews, bei der Bewertung von Herstellerstrategien oder als Projektleiter für Erweiterungsprojekte – man hat jemanden zur Seite, der die Interessen des Unternehmens vertritt und nicht die des ERP-Anbieters. Das bedeutet im Idealfall: rechtzeitiges Aufzeigen von Handlungsoptionen, neutrale Bewertung von „neuen Angeboten“ des Herstellers und gegebenenfalls Unterstützung bei einem Systemwechsel, falls dieser strategisch notwendig wird.

Natürlich muss auch die Auswahl der Beratung mit Bedacht erfolgen. Achten Sie darauf, dass der Berater in Frage tatsächlich herstellerneutral arbeitet (z.B. kein Reseller ist) und Erfahrung in Ihrer Branchen und Unternehmensgröße hat. Dann jedoch ist eine externe ERP-Beratung oft ein wichtiger Garant dafür, dass Unabhängigkeit gewahrt bleibt und das ERP wirklich dem Unternehmen dient – und nicht umgekehrt.

 

Kriterienkatalog zur Bewertung des Vendor Lock-in-Risikos

Um bereits in der Auswahlphase die Gefahr eines Vendor Lock-in systematisch einzuschätzen, hilft ein Kriterienkatalog. Er fasst die wichtigsten Bewertungsfaktoren zusammen, mit denen Entscheider verschiedene ERP-Optionen oder -Architekturen vergleichen können. Die folgende Tabelle zeigt zentrale Kriterien und die Leitfragen dazu:

 

Kriterium

Fragestellung zur Bewertung

Datenhoheit & Portabilität

Haben wir jederzeit Zugriff auf alle unsere Daten in einem gängigen, exportierbaren Format? Werden Daten bei Bedarf vollständig herausgegeben?

Schnittstellen & Integration

Unterstützt das System offene Schnittstellen (z.B. REST-APIs, ODBC) und Standardformate, um andere Anwendungen problemlos anzubinden oder Daten auszutauschen?

Technologiestandards

Basieren Software und Datenbank auf verbreiteten Standards (Programmiersprachen, DB-Systeme), sodass prinzipiell auch Drittanbieter damit arbeiten oder die Lösung betreuen könnten?

Vertragsflexibilität

Wie flexibel sind Vertragslaufzeit und Kündigungsklauseln gestaltet? Gibt es Ausstiegsmöglichkeiten (z.B. zum Jahresende) ohne prohibitive Kosten oder Vertragsstrafen?

Ökosystem & Support

Existiert ein breites Partner-Ökosystem (Berater, Dienstleister, Community) für dieses ERP, oder sind wir für Support und Weiterentwicklung auf den Hersteller allein angewiesen? Gibt es ggf. Drittwartung oder alternative Supportanbieter?

Internes Know-how

Verfügen wir intern über ausreichendes ERP-Know-how, um nicht für jede Änderung auf externe Dienstleister angewiesen zu sein? (Anzahl geschulter Key User/Admins, Tiefe der Systemkenntnis im Team)

Anpassungsgrad /Standardnähe

Wie stark weicht unsere Implementierung vom Standard des ERP ab? Könnten unsere Geschäftsprozesse auch in einem anderen System abgebildet werden, oder sind sie untrennbar mit spezifischen Customizations verknüpft? (Hohe Standardnähe = geringeres Lock-in)

 

Anhand dieses Katalogs (der je nach Unternehmen noch erweitert werden kann) lässt sich für jede in Frage kommende ERP-Lösung ein Lock-in-Risiko-Score abschätzen. Entscheidern liefert das eine greifbare Grundlage, um Vendor Lock-in schon bei der ERP-Auswahl zu berücksichtigen – genauso wie Kosten, Funktionalität und andere klassische Kriterien.

 

Empfehlungen aus der Praxis für mittelständische Entscheider

Abschließend möchten wir Ihnen aus unserer ERP-Beratungserfahrung bei Dreher Consulting konkrete Empfehlungen geben, worauf Sie als Entscheider bei der Auswahl eines ERP-Systems und eines Implementierungspartners achten sollten, um Vendor Lock-in zu minimieren:

 

Bei der ERP-Systemauswahl

  • Langfristige Flexibilität mitbewerten: Berücksichtigen Sie von Anfang an die langfristigen Implikationen Ihrer ERP-Wahl. Lassen Sie nicht nur Funktionsumfang und Preis sprechen, sondern auch Fragen der Architektur, Offenheit und Zukunftssicherheit. Ein System, das heute passt, aber keine Flexibilität für morgen bietet, kann zum Risiko werden. Nutzen Sie den oben genannten Kriterienkatalog: Prüfen Sie jedes ERP-Angebot systematisch auf Datenzugriff, Schnittstellen, Standardkonformität etc. Denken Sie in Szenarien – Was wäre, wenn wir in fünf Jahren wechseln müssten? –, auch wenn ein Wechsel gar nicht geplant ist. Dieses Mindset schützt vor Kurzschluss­entscheidungen.

  • Unabhängige ERP-Auswahlprozesse aufsetzen: Im Mittelstand ist es ratsam, den Auswahlprozess möglichst unabhängig zu gestalten. Das bedeutet: Ziehen Sie in Betracht, externe ERP-Beratung hinzuzunehmen oder zumindest intern ein interdisziplinäres Team (IT, Fachbereiche, Einkauf) zu bilden, das verschiedene Anbieter unvoreingenommen evaluiert. Achten Sie darauf, dass die Evaluationskriterien transparent und an Ihren Geschäftszielen ausgerichtet sind – und dass kein Anbieter bevorzugt wird, nur weil er z.B. bereits andere Produkte bei Ihnen platziert hat. Eine strukturierte und unabhängige Auswahl stellt sicher, dass Sie wirklich die Lösung finden, die am besten passt und die geringsten Abhängigkeitsrisiken birgt. So vermeiden Sie Vendor Lock-in proaktiv, anstatt ihn später teuer managen zu müssen.

  • Fokus auf offene Technologien und Standards: Fragen Sie bei den Herstellern gezielt nach Aspekten, die für Unabhängigkeit sorgen. Wie sieht das Datenmodell aus? Gibt es Migrations-Tools? Wie integriert sich das ERP mit Drittsoftware? Gibt es Referenzen von Kunden, die das System mit anderen Lösungen kombiniert haben? Ein seriöser Anbieter wird offen darüber Auskunft geben und idealerweise standardisierte Lösungen für Integration und Datenexport vorweisen. Misstrauisch sollte man werden, wenn ein Anbieter diese Fragen beschönigt oder abwiegelt („Brauchen Sie nicht, wir können doch alles liefern“). Transparenz seitens des ERP-Anbieters in diesen Punkten ist Gold wert. Im Zweifel gilt: Lieber ein System mit etwas weniger Funktionsumfang wählen, das aber offen und anerkannt standardkonform ist, als ein scheinbares Feature-Wunder, das einen in ein proprietäres Korsett zwingt.

Bei der Wahl des Beratungspartners

  • Neutralität und Erfahrung des Partners prüfen: Wenn Sie einen externen Implementierungspartner oder Berater engagieren, schauen Sie genau hin, welche Agenda dieser mitbringt. Ein Partner, der nur eine einzige ERP-Lösung im Portfolio hat, wird naturgemäß diese favorisieren – was nicht per se schlecht sein muss, aber Sie sollten sich der möglichen Bias bewusst sein. Ideal ist ein Partner, der mehrere Systeme kennt oder explizit als vendor-neutral auftritt. Fragen Sie nach, ob der Berater finanziell an bestimmte Produkte gebunden ist. Unabhängige Beratungen werden dies verneinen und ihren Mehrwert in Methodenkompetenz und Projekterfahrung begründen. Zudem ist Branchenerfahrung wichtig: Ein Berater, der den Mittelstand und speziell Ihre Branche (Fertigung, Handel etc.) versteht, wird eher maßgeschneiderte Lösungen finden, statt Standardrezepte zu nutzen.

  • Vertragliche Vereinbarungen mit dem Dienstleister: Ähnlich wie beim Softwarevertrag sollten Sie auch mit dem Implementierungspartner klare Absprachen treffen, die Abhängigkeiten begrenzen. Zum Beispiel: Bestehen Sie auf ausführlicher Projektdokumentation als Deliverable. Vereinbaren Sie Wissenstransfer und Schulungen für Ihre Mitarbeiter als festen Bestandteil des Projekts. Legen Sie fest, wem entwickelte Erweiterungen gehören (im besten Fall Ihnen) und stellen Sie sicher, dass Sie im Fall eines Partnerwechsels Zugriff auf alle Ergebnistypen haben (Customizing, Code, Konfigurationen). Falls der Partner Hosting oder Cloud-Services anbietet, regeln Sie die Herausgabe der Daten und Systemimages beim Vertragsende. Ein professioneller Dienstleister wird solche Klauseln akzeptieren, da sie ein faires Miteinander gewährleisten.

  • Eigenes Projektteam stärken: Auch wenn externe Partner viel Expertise bringen – behalten Sie die Projektleitung und Schlüsselrollen möglichst in Ihrer Hand. Stellen Sie ein starkes internes Projektteam, das auf Augenhöhe mit dem Dienstleister arbeitet. So vermeiden Sie, dass der Dienstleister allein entscheidet und Ihr Team zum Zuschauer degradiert wird. Fördern Sie eine Kultur des gemeinsamen Lernens: Lassen Sie Ihre Leute möglichst viel vom Know-how des Partners aufsaugen. Je mehr Ihr Team bereits in der Implementierungsphase selbst erledigen kann (Konfiguration, Tests, vielleicht sogar Entwicklung von Berichten etc.), desto geringer die spätere Abhängigkeit. Kurz gesagt: Empowern Sie Ihre Mitarbeiter, statt alle Verantwortung aus der Hand zu geben.

  • Referenzen und Supportmöglichkeiten prüfen: Scheuen Sie sich nicht, Referenzen des Beratungspartners nach unabhängigen Projekten zu fragen. Wie hat er in der Vergangenheit darauf geachtet, Kunden nicht in die Abhängigkeit zu führen? Gab es erfolgreiche Wissenstransfers? Zudem: Erkundigen Sie sich nach dem Support-Modell nach Projektende. Können Sie ad-hoc Unterstützung von Ihnen bekommen, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind? Wie flexibel sind Sie, wenn Ihr interner Support mehr selbst übernehmen will? Ein guter Partner zeichnet sich dadurch aus, dass er sich im Erfolg seines Kunden misst – also letztlich darin, dass Sie ihn immer weniger brauchen, nicht immer mehr. Solch ein Partner wird Sie aktiv dabei unterstützen, unabhängiger zu werden (auch wenn es paradox klingt, weil er sich damit selbst ein Stück weit entbehrlich macht).

Zusammengefasst: Wählen Sie einen Implementierungspartner mit Bedacht, gestalten Sie die Zusammenarbeit bewusst und halten Sie die Zügel in der Hand. Dann haben Sie beste Chancen, dass aus der Partnerschaft keine Abhängigkeit wird, sondern ein Mehrwert für Ihr Unternehmen.

 

Fazit: Unabhängigkeit als strategischer Erfolgsfaktor

Ein ERP-Projekt ist für jedes mittelständische und größere Unternehmen ein strategisches Vorhaben – mit Auswirkungen über viele Jahre. Neben Funktionen, Budget und Zeitplan muss dabei zwingend das Thema Vendor Lock-in auf der Agenda stehen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Unabhängigkeit kein Selbstläufer ist: Ohne aktive Gegenmaßnahmen laufen Firmen Gefahr, sich ungewollt in eine feste Bindung an Anbieter oder Dienstleister zu begeben. Doch wie dargelegt, gibt es zahlreiche Hebel, um dem entgegenzuwirken – von technischen Architekturentscheidungen über kluge Vertragsgestaltung („Exit-Strategie von Day One“) bis zur Einbindung unabhängiger ERP-Beratung. Unternehmen, die diese Prinzipien beherzigen, verwandeln die vermeintliche Lock-in-Falle in eine Gestaltungschance: Sie behalten die Kontrolle über ihre Systeme, Daten und Geschäftsprozesse.

Für Sie als Entscheider bedeutet das vor allem, agil und selbstbestimmt zu bleiben. Ein ERP-System sollte Ihr Unternehmen unterstützen und wachsen lassen – nicht zu Fesseln führen. Unabhängigkeit ist ein strategischer Erfolgsfaktor, der in Zeiten rasanten Wandels den Unterschied machen kann. Wer technologisch und vertraglich beweglich bleibt, kann schneller auf Marktveränderungen reagieren, bessere Konditionen verhandeln und neue Innovationen integrieren, wann immer es nötig ist. Kurz: Sie sichern sich die unternehmerische Freiheit, die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit zu treffen, ohne von äußeren Zwängen gelähmt zu sein. Mit dieser Freiheit im Rücken und einem starken ERP als Werkzeug können mittelständische Firmen auch in Zukunft flexibel, wettbewerbsfähig und erfolgreich agieren. Gehen Sie das ERP-Projekt also mit Weitsicht an – es wird sich bezahlt machen, heute und in vielen Jahren.

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